Was verstehst du unter "heute"? Sprichst du von der Schrift- oder gesprochenen Sprache? Beziehst du dich auf den präpositionalen oder den Genitiv allgemein? Der sächsische Genitiv ist heute seltener als vor einigen Dekaden, soweit mich mein Wissen nicht trügt.
Nun, dann trügt Dich Dein Wissen wohl

Ich rede vom heutigen Sprachgebrauch, sowohl von der geschriebenen als auch von der gesprochenen Sprache.
Allerdings habe ich mich bei der Bezeichnung "Genitiv" etwas flapsig ausgedrückt: Wir sprachen lediglich vom Genitiv als Fall, und egal wie dieser ausgedrückt wird (durch die Deklination oder durch die Präposition "von"), den germanischen Sprachen ist er weitestgehend fremd.
Damit widersprichst du dich doch. Früher gab es den Genitiv noch häufiger, erst in den letzten Jahrzehnten hat die Benutzung des Wörtchens "von" zugenommen - eben unter romanischem Einfluss. Also ist der Genitiv doch heute seltener als damals.
Nein, der Genitiv war schon immer selten und war vielleicht sogar schon auf bestem Wege auszusterben. Erst durch die stark ansteigende Lese- und Schreibfähigkeit (jetzt klammere ich die gesprochene Sprache aus) übernimmt auch die "Schulgrammatik", die (ich sag's immer wieder!) hauptsächlich vom Latein beeinflußt ist, eine größere Rolle.
---> Bedenke: erst ab ca. 1450 Buchdruck --> Adelige und wohlhabende Leute kommen in den Genuß, Bücher zu lesen. Aber v.a. erst seit der Einführung der allg. Schulpflicht im 19. Jahrhundert können auch die einfachen Leute auf dem Lande lesen und schreiben (jedenfalls mehr oder weniger).
Bedenke weiter, daß hier die Kirche meist ihre Finger im Spiel hatte -> Kirchensprache = Latein!!
Diese "Schulgrammatiken" schreiben den Genitiv vor, weil sie auf lateinischen Grammatiken aufbauen und nicht auf den eigentlichen germanischen Dialekten, die einen Genitiv so gut wie nicht kannten.
In der gesprochenen Sprache aber hat sich der Genitiv erst weitaus später häufiger geworden, aber er war noch nie "häufig" und hat sich v.a. auch nicht "durchgesetzt".
Wann entwickelte sich "Meines Vaters Auto"? Ist das die Zeit, die du für "heute" hältst?
Ob sich diese Konstruktion "entwickelt" hat, weiß ich nicht - das scheint mir eher eine künstliche Bildungsweise zu sein, die sicher auch irgendwie darin seinen Sinn sieht, daß auf Teufel komm raus der Genitiv eingepflanzt werden muß.
Übrigens: Mein "heute" umfaßt oft gut und gerne einige hundert Jahre, d.h. zum heutigen Zeitpunkt und eine mehr oder weniger unbestimmte Zeit auch zurückreichend. Eine Konstruktion ist nicht einfach "da", selbst wenn sie künstlich entwickelt wurde, dauert es seine Zeit, bis sie häufiger wird, verschwindet, benutzt wird, oder nicht mehr benutzt wird; da muß man etwas großzügig sein mit der Eingrenzung und ich werde in Zukunft etwas aufpassen, wie ich das formuliere.
Zu dem Possessivpronomen "sein": Mir ist aufgefallen, dass dieses sächsische Genitiv-s (my father's; meines Vaters) an Personennamen mit dem Pronomen "sein" bzw. "his" zusammenhängt. Es wurde jeweils nur das "s" behalten, während der Rest entweder zu einem "anapostrophierten" (im Englischen) oder einem angehängenten s (im Deutschen) wurde.
Ja, das vermutet man - interessant ist, wie in meinem letzten Beitrag erwähnt, ob das Pronomen "sein" bzw. "his" in früherer Zeit geschlechterunspezifisch verwendet wurde, ob also "sein/his" ohne Rücksicht auf männlich oder weiblich für alle Bildungen einspringen konnte.
Ich kann mir gut vorstellen da es so gewesen sein könnte; wie sollte man sich sonst Annas Auto, Marias Haus, Katharinas Ring usw. erklären.
Gruß
-MrMagoo